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< Zurück zur Übersicht 17.04.2025

Philipp Handler: «Das will ich auch können»

Drei Paralympische Spiele (2012, 2016, 2021), sechs Para-Weltmeisterschaften und sechs EM-Medaillen sind genug: Philipp Handler (33) hat seine Spikes vor Kurzem an den Nagel gehängt. Inspiriert hat uns sein Werdegang vom «schnällscht Wintertuurer» zum Schweizer T13-Rekordsprinter über 100 m (10,89) und 200 m (22,28) «on and off the track». Im grossen LCZ-Interview spricht «Phil» über die sportlichen Folgen seiner angeborenen Sehbehinderung (Achromatopsie), Inklusion in der Leichtathletik und ganz viele Highlights in seinem «überbelichteten Schwarz-Weiss-Film».

Interview: Manuel Stocker
Wettkampfbilder: athletix.ch

Philipp Handler (LC Zürich) & Etienne Schudel (LV Winterthur)

Gut unterrichtete Quellen haben uns berichtet, du seist – komplett farbenblind und mit einer Sehschärfe von weniger als 10 Prozent – beim FC Embrach irgendwann im Abseits gestanden und hast darum die Sportart gewechselt. Stimmt das?
Überspitzt formuliert wohl schon. Als Kind möchtest du nicht anders sein als deine Kollegen, möchtest das machen, was sie auch können – auch wenn deine visuellen Fähigkeiten eingeschränkt sind. Im Fussball funktionierte das, solange mir jemand einen langen Ball zuspielte und ich rennen musste. Aber bei Zweikämpfen und Kopfbällen war mein Handicap «unübersehbar». Dabei war ich wahrscheinlich schon damals fitter und schneller als die meisten Mit- und Gegenspieler. Diese Stärke konnte ich beim «schnällscht Wintertuurer» eher ausspielen als auf dem Fussballplatz.

Wie kam es zum Wechsel in die Leichtathletik?
Ein Kollege, der im Nachwuchs des FC Winterthur spielte, überlegte sich, in die Leichtathletik-Vereinigung Winterthur (LVW) zu wechseln. 2006 fragte er mich, damals 14 Jahr alt, ob ich auch mal mitkommen wolle. Das neue Umfeld behagte mir sofort. Die Diskussionen drehten sich nicht mehr um den «unfairen» Gegner, den verschossenen Elfmeter oder «falsche» Schiedsrichterentscheidungen, sondern um das individuelle Entwicklungspotenzial. In der Leichtathletik hat jeder seine eigenen Ziele, kann sich im Wettkampf und Training mit sich, aber auch mit anderen direkt vergleichen.

Philipp Handler vor seiner letzten SM in Winterthur, wo er seine Leichtathletik-Laufbahn 2006 startete

Würdest du sagen, die Leichtathletik ist «inklusiver» als die Mannschaftssportart Fussball?
Ich glaube ja, und zwar unter zwei verschiedenen Aspekten. Zum einen ist es die Art des Trainings: Jemand, der die 100 m eine Sekunde langsamer sprintet – ob Frau oder Mann, mit oder ohne Beeinträchtigung –, kann mit ein paar geringfügigen Anpassungen genauso in derselben Gruppe trainieren. Obwohl klassischerweise eine Einzelsportart, erlebte ich in der Leichtathletik eher ein Miteinander als ein Gegeneinander. Im Fussball – oder Tennis – wirken sich Niveauunterschiede viel stärker aus. Zum anderen gibt es in der Leichtathletik klar messbare Leistungskriterien. Niemand kommt hier auf die Idee, zu behaupten, er sei der Beste, im Wissen, dass er einen Meter weniger weit springt oder wirft als der «Zweitbeste». Das erdet den Charakter.

«Ich erlebte in der Leichtathletik eher ein Miteinander»

Was hat dich zum Leichtathletik-Club Zürich gebracht?
Während der Gymi- und Unizeit (Phil besuchte das Regelgymnasium in Bülach und schloss ein Master-Studium in Wirtschaft an der Universität Zürich ab) war das tägliche Pendeln von Embrach ins Training auf dem Deutweg (unter Georg Pfarrwaller) kaum je ein Thema. Doch als ich 2017 ein Praktikum in Zürich begann und mit dem «richtigen» Arbeiten begann, suchte ich einen nähergelegenen Stadtverein. LCZ-Coach «Baumi» (Andreas Baumann) war sehr offen und hat mich in seine Gruppe aufgenommen. Ich fühlte mich auf Anhieb integriert.  

Wie reagierten deine neuen Klubkollegen, als sie dir erstmals begegneten?
Die Leichtathletik ist zum Glück eine kleine Gemeinschaft. Man kennt sich untereinander und pflegt einen lockeren Umgang. Wer mich – wie die Jüngeren – noch nie auf dem Trainingsplatz angetroffen hatte, wurde von den Schüler- und Nachwuchstrainer:innen um Simon Märki vorgängig darauf sensibilisiert, wieso jemand mit der Sonnenbrille Läufe im Laufkanal absolviert und sie aufpassen müssten, weil ich sie nicht sehe. Für diese Arbeit im Hintergrund gebührt dem LCZ grossen Dank. Das war zu meinen Anfangszeiten sicherlich noch anders.

Inwiefern?
Als Teenager hörte man schon den einen oder anderen Spruch, wenn man bei Regen mit dunkelgetönter Sonnenbrille (wegen der starken Lichtempfindlichkeit) auf der Bahn auftauchte. Anders als eine Prothese oder ein Rollstuhl war und ist meine Beeinträchtigung für Aussenstehende ja nicht zu erkennen. 2009 entdeckte ich an einem Para-Einlagerennen einen Athleten, hinter dessen Name auf der Startliste «sehbehindert» stand. Ich fand, das würde mir auch helfen. So kam der Kontakt mit PluSport, dem Dachverband für den Behindertensport in der Schweiz, zustande. Bis dahin startete ich ausschliesslich bei Regel-Wettkämpfen. Ich kannte es nicht anders.  

«Für die Hintergrundarbeit gebührt dem LCZ grossen Dank»

Heute besuchst du als Parasport-Botschafter Schulklassen, leitest das interdisziplinäre J+S-Weiterbildungsmodul «Sport und Handicap» und inspirierst andere mit deinem dualen Karriereweg. Was empfiehlst du uns «Nicht-Behinderten» im Umgang mit Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben (müssen)?
Zuallererst würde ich sagen, dass alle irgendwo ein Handicap haben. Jeder Mensch trägt seinen Rucksack, hat Stärken und Schwächen, die vielleicht nicht offensichtlich sind. Das Einfachste ist immer, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Egal, ob behindert, verletzt, krank oder in einer anderen Form vulnerabel, finde ich,  darf man seine Mitmenschen immer fragen, wie es ihnen geht und ob man helfen kann. So wurde ich von meinen Eltern erzogen.

Wie manifestiert sich deine Sehbehinderung im Wettkampf?  
60-m- oder 100-m-Sprints sind sicher einfacher zu meistern als ein 200-m-Lauf mit Kurve. Aber auch das geht, wenn man sich an den Linien orientiert. Das Visuelle allein ist ohnehin nicht das Hauptproblem. Mehr Mühe als der Wettkampf bereitet mir der Alltag. Bin ich unterwegs, ist mein Körper ständig angespannt. Im öffentlichen Verkehr, beim normalen Gehen auf dem Trottoir, beim Einlaufen auf dem Sportplatz, überall muss man auf Unvorhersehbares gefasst sein, um reagieren zu können. Entsprechend hoch ist der Muskeltonus und die Belastung auf das Nervensystem.  

Wer oder was kann helfen, diese ständige «Handbremse» lösen?
Mitmenschen, denen ich Vertrauen kann. Wenn mir mein Coach im Training oder Wettkampf sagt, die Bahn sei frei, dann muss ich ihm zu einhundert Prozent vertrauen können. Andernfalls ist ein Zusammenprall mit nichtwissenden Athlet:innen, Kampfrichter:innen oder Helfer:innen quasi programmiert.

«Das Visuelle allein ist nicht das Hauptproblem»

Hast du gegenüber einem Regelsprinter auch «Vorteile», etwa weil dein Gehör mutmasslich besser geschult sein könnte?
Gute Frage. Da kenne ich die andere Seite zu wenig, würde aber auf ein Nein tendieren. Wahrscheinlich kann ich das Gehörte relativ gut interpretieren. Das ersetzt ein Stück weit die visuelle Komponente. Trotzdem muss ich mich derart auf die Restsicht konzentrieren, dass der Hörvorteil vermutlich wieder wegfällt. Den Startschuss konnte ich leider nie besser antizipieren als meine Mitstreiter.

Welche «Superkraft» hat dir geholfen, im Parasport so weit zu kommen?
Man muss sicher gut organisiert sein. Aber das ist eine Konsequenz aus der Sehbehinderung. Wenn ich nicht weiss, wo ich etwas hingelegt habe, finde ich meine Sachen nicht mehr. Eine Zugfahrt kann rasch zum ungewollten Abenteuer werden, wenn man die Abfahrtszeiten und Verbindungen nicht kennt. «Schnell nachschauen» ist für mich schwierig. Das musste ich früh lernen. Trotzdem stellte ich immer den Anspruch an mich: Das will ich auch können. Ich denke, diese Mentalität hat mir sowohl im Sport als auch im Leben am meisten geholfen.  

Wo warst du lieber unterwegs: Bei Para-Wettkämpfen oder bei Meetings/Meisterschaften von Swiss Athletics?
Da gibt es zwei Gesichtspunkte: In Para-Wettkämpfen ist das Verständnis für Handicaps insofern grösser, als alle mit irgendeiner Einschränkung antreten. Man braucht sich nicht zu erklären, tauscht sich untereinander aus, fragt auch mal nach, welche Strategien die Konkurrenz mit gleichen oder ähnlichen Handicaps anwenden. Aber: Bei Wettkämpfen von Swiss Athletics trifft man oft auf die gleichen Leute, die Stimmung ist äusserst kollegial. Ich fühlte mich stets willkommen, suchte gerne den Vergleich mit Nicht-Parasportlern.

«Ich suchte gerne den Vergleich mit Nicht-Parasportlern»

Hand aufs Herz: Macht Swiss Athletics und die Schweizer Leichtathletik-Familie genug bezüglich Inklusion?
Das Thema Inklusion ist sehr vielschichtig und hört nicht bei erleichterten Limiten für die SM-Teilnahme ausser Konkurrenz auf. Es gibt so viele Athletinnen und Athleten mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Ich zum Beispiel war unendlich dankbar dafür, dass ich eine Begleitperson dabeihaben konnte. Jemand mit Beinprothese wiederum ist froh, wenn es einen längeren Auslauf im Ziel gibt. Ich glaube, da wird von Verbandseite viel getan, ohne Para-Leichtathleten mit Regelathleten gleichzustellen. Letzteres wäre nicht richtig und würde den Bogen meiner Meinung nach überspannen. Die Hauptschwierigkeit – nicht nur von Swiss Athletics, sondern vom Parasport allgemein – liegt ohnehin woanders.

Wo denn?
Beim Zugang respektive Angebot und bei der Sichtbarmachung von Vorbildern. Wie kann man jungen Parathlet:innen die Angst nehmen, an Wettkämpfen teilzunehmen? «For all»-Kategorien im Rahmen der Nachwuchsprojekte sind ein erster Schritt in diese Richtung, aber es braucht auch lokale Vereine und (inter)nationale Veranstalter, die mitziehen. In den letzten Jahren kamen immer mehr Para-Startmöglichkeiten bei grösseren Meetings dazu, etwa im Rahmen von Spitzen Leichtathletik Luzern oder CITIUS Bern. Persönlich wünschte ich mir noch eine breitere Sichtbarkeit der stehenden Kategorie (neben den Rollis) bei Weltklasse Zürich oder Athletissima Lausanne. Jeder Schweizer Nachwuchsathlet träumt davon, einmal im ausverkauften Letzigrund zu starten. Bislang war uns das erst bei ausländischen Diamond-League-Meetings vergönnt.

«Ich wünschte mir noch eine breitere Sichtbarkeit»

Welches waren die drei grössten Hürden, die du in deiner Karriere überwinden musstest?
Das Eingeständnis, was ich kann und was nicht. Fussball hat mir lange Spass gemacht, aber dann kam ich zum Schluss, dass es vielleicht nicht die sinnvollste Sportart für mich ist. Als Parathlet war ich – wie alle Athlet:innen – stark betroffen von der Covid-Situation. Von heute auf morgen ging alles zu, gemeinsame Trainings waren schwierig bis unmöglich, trotzdem durften wir Kaderathlet:innen die Zügel im Hinblick auf Tokio 2021 nicht schleifen lassen. Vor zwei Jahren kam ein Bandscheibenvorfall dazu, der viel Zeit und Energie kostete, um wieder zurückzukommen.

Waren letztlich gesundheitliche Probleme der Auslöser für deinen Entscheid, das Leistungssportkapitel zu schliessen?
Der Rücken spielte natürlich eine Rolle. Aber ab 30 wird es im Sprint grundsätzlich immer schwieriger, das Niveau zu halten oder gar nochmals zu steigern. Die Erholungsfähigkeit nimmt ab, die Körperspannung hingegen zu. Dieses Problem akzentuierte sich in meinem Fall je länger, je mehr, so dass ich mir sagte: Ich will aufhören, solange ich noch Freude habe und nicht erst, wenn ich 12,50 über 100 m laufe.

Bei deinen letzten Grossanlassstarts in Japan (Paralympics 2021 und Para-WM 2024) hast du mit Platz 7 über 100 m überzeugt. Was fehlte für die vierte Paralympics-Teilnahme in Paris?
Für die EM und WM ist es der nationale Verband Swiss Paralympic, der die Limiten setzt und selektioniert. Bei den Paralympics wird es komplizierter. Da geht es erst einmal darum, einen der äusserst dünngesäten Quotenplätze für die Schweiz zu holen. Für den Pariser Quotenplatz 2024 zum Beispiel verlangte der Weltverband eine Top-2-Klassierung an der vorgängigen Para-WM in Kobe/Japan. Das gelang mir nicht, wenngleich ich als Finalist nicht weit weg war von den Besten. Letztlich wurden zehn Schweizer «Track»-Athlet:innen für die Pariser Spiele nominiert, denen man verdientermassen mehr Medaillenchancen attestierte als mir. (Die bekanntesten waren Catherine Debrunner (T53) und Marcel Hug (T54) bei den Rollis sowie Elena Kratter (T63) und Abassia Rahmani (T62) bei den Stehenden.)

Du bist in New York geboren, hast allerdings den US-Pass – wie übrigens deine Vereinskollegin Angelica Moser – längst abgegeben. Wäre LA 2028 nicht noch ein reizvolles Ziel gewesen?
Prinzipiell ja. LA 2028 hätte mich tatsächlich mehr gereizt als die diesjährige Para-WM (Ende September/Anfang Oktober in Neu-Dehli/Indien). Wäre ich fünf Jahre jünger, hätte ich es wohl nochmals versucht. Gerade im Zusammenhang mit einer Mixed-Sprint-Staffel wäre ich Feuer und Flamme gewesen.

«Die Leichtathletik war für mich immer auch Teamwork»

Seit deinem Rücktritt arbeitest du zu 100 statt 80 Prozent bei Swiss Re als Finanzanalyst. Was hat dir der Sport beziehungsweise die (Para-)Leichtathletik für deine berufliche Karriere gegeben?
Da gibt es einiges. Zum einen die Belastbarkeit. Man lernt in der Leichtathletik, unter Druck zu performen, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Mal kommt die Phase der langen Läufe, wo man ein bisschen beissen muss, mal die der Starts, die man vielleicht lieber hat. Entscheidend ist, dass man das Ziel nicht aus den Augen verliert und als ganzes Team darauf hinarbeitet. Insofern war die Leichtathletik für mich immer auch Teamwork und ein wichtiger Ausgleich zum Berufsleben.

Eine grosse Leidenschaft fällt nun weg. Was wird die «Lücke» ausfüllen, die die Leichtathletik hinterlässt?
Einen Teil dieser Lücke kompensiert die Arbeit. Ich bin ein ausgesprochener Teamplayer, hatte öfters Mühe, mich am Nachmittag ins Training zu verabschieden mit dem Hinweis, dass ich am Abend oder am nächsten Tag wieder zur Verfügung stehe. Als Sportler muss man lernen, nein zu sagen. Nun kann ich auch mal länger bleiben und den Kollegen etwas zurückgeben. Darüber hinaus bleibe ich natürlich sportlich aktiv und werde auch in Zukunft im Letzi anzutreffen sein. Mein Trainingsalltag wird einfach ein bisschen weniger durchgetaktet sein.

Die Klassikerfrage müssen wir hier stellen: Welches war dein sportliches Highlight in deinem «überbelichteten Schwarz-Weiss-Film», wie du deine Perspektive mal in einem Podcast beschrieben hast?
Rein von der Stimmung her war nichts vergleichbar mit London 2012. Die Briten haben nicht nur die olympischen, sondern auch die paralympischen Spiele gelebt. In und um den Olympic Park wurde ein Riesenfest gefeiert. Rein sportlich würde ich Tokio 2021 noch etwas höher werten. Nach der schwierigen Coronazeit als Schweizer Fahnenträger ins Stadion einzulaufen und mit einer Sub-11-Sekunden den Finaleinzug (7.) zu schaffen, erfüllte mich mit Stolz. Der einzige Wermutstropfen war, dass wir diese Momente nicht mit unseren Familien und Freunden vor Ort teilen konnten.

«Teamwettkämpfe und Staffeleinsätze mit dem LCZ mochte ich besonders»

Und was waren deine schönsten Wettkämpfe im LCZ-Dress?
Die Teamwettkämpfe und Staffeleinsätze für LCZ haben immer viel Spass gemacht. Die mochte ich besonders. Vergangenen September konnte ich beim SVM-Double leider nicht mehr dabei sein, weil meine «paralympische» Saison mit der SM in Winterthur ein verfrühtes Ende nahm. Aber ich hatte auch schon für den Verein gepunktet und bin mehrmals Staffeln gelaufen. 2021 wurden wir in Hochdorf sogar Schweizer Meister mit der über 4×100 m…  

Gewissermassen ein «PARAdebeispiel» für gelebte Inklusion respektive für «Together on Track», die gemeinsame Kampagne von Swiss Athletics, Weltklasse Zürich und Athletissima Lausanne.
Lustigerweise war nicht der Start, sondern die letzte Übergabe meine bevorzugte Position. Mit der Zeit hatte ich ein Gefühl entwickelt, wann ich loslaufen musste, ohne zu früh oder zu spät zu sein. Schade, haben wir es international nie geschafft, eine Schweizer Para-Mixed-Staffel zu stellen. Das wäre das i-Tüpfelchen gewesen.   

Finale Stabübergabe von Nahom Yirga auf Philipp auf Handler Philipp an der Staffel-SM 2021

Als 4×100-m-Schlussläufer auf dem Weg zum Schweizer Meistertitel in Hochdorf 2021

Abgesehen davon, dass ihr beide Star-Wars-Fans seid: Welche Gemeinsamkeit teilst du mit deinem Trainer Andreas Baumann?
Wir wissen beide, was es braucht, um schnell zu sein. In der Trainingsmethodik waren wir uns in vielen Dingen einig, bei anderen weniger – beispielsweise bei Burpees oder «Strafläufen» für zu schnelle/zu langsame Intervalle nach Zeitvorgaben… Ich mochte und mag Baumis Lockerheit. Er ist vom Typ her nicht ganz so durchgeplant wie ich, hört eher auf sein Bauchgefühl. Damit bildete er einen guten Kontrast zu mir, der die Sachen manchmal allzu fest durchdenkt.   

Insiderfrage deines Ex-Coachs: Kaufst du dir jetzt ein Motorrad?
Ha, ha, der ist fies. Natürlich darf ich mit meiner Behinderung weder Auto- noch Töff fahren. Dennoch liess ich mir die Chance vor ein paar Jahren nicht nehmen und setzte mich auf dem Parkplatz in Nottwil auf Baumis Maschine. Seither nimmt er mich hoch, weil ich wohl der einzige Mensch bin, der das «Objekt der Begierde» wie ein Kindertretrad behandelt hat (lacht).   

Philipp Handler mit seinem langjähriger Trainer/Begleiter Andreas Baumann an der Para-WM in Kobe/Japan 2024, wo der T13-Athlet als Siebter abermals im 100-m-Final stand

Was wirst du am meisten vermissen?
Der Fixpunkt im Letzi, die Trainingsgruppe, die Leute, die man täglich traf und die gleiche Sprache sprechen. Ich hoffe, ich kann auch als «Halbaktiver» Teil dieser Community bleiben. Mein Herz wird jedenfalls weiterhin für den Sport im Allgemeinen und die Leichtathletik im Speziellen schlagen.

«Vertraue auf deine Stärken»

Dann sieht man dich nächstes Jahr bestimmt an der Heim-SM im Letzigrund…  
Ich denke schon, allerdings nur als Zuschauer. Als LCZ-Athlet waren die beiden SM-Halbfinals 2017 und 2022 im Letzi unvergessliche Erlebnisse (über 200 m lief Phil seine bis heutig gültige Bestzeit von 22,28 Sekunden). Man ist hier zu Hause, kennt jeden Meter und kann die Weltklasse-Infrastruktur auch mal im Rennmodus nutzen.  

Was würdest du deinem jüngeren Teenie-Ich mit auf den Weg geben?
Rückblickend und mit dem heutigen Wissen hätte ich den Schritt zur Leichtathletik vielleicht früher wagen sollen. Wie eingangs angetönt, war die Teenagerzeit nicht ganz einfach für mich, weil man nicht anders sein wollte. Wahrscheinlich hätte ich mir gesagt: «Anders zu sein, ist überhaupt nicht schlimm, vertraue auf deine Stärken – auch wenn sie vielleicht erst später zum Tragen kommen.»

Ehrung des sechsfachen Para-EM-Medaillengewinners Philipp Handler durch Swiss Paralympic (Bild: Simon Freiburghaus)