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Daniel Baumgartner: «Wir wollen unserem Nachwuchs ein professionelles Umfeld bieten»
Der Nachwuchs des Leichtathletik-Clubs Zürich sammelt auf nationaler Ebene Medaille um Medaille und erfüllt «laufend, springend, werfend» internationale Grossanlass-Limiten. Was steckt hinter den Erfolgen und was bedeuten diese für die Zukunft? Wir haben beim LCZ-Nachwuchsverantwortlichen Daniel Baumgartner nachgefragt.
13 Medaillen an den Schweizer Hallen-Meisterschafen (U16-U20), fünf beim Schweizer Final des UBS Kids Cups (U10-U16), dazu schon sieben Limiten für internationale Grossanlässe (U18-U23): Als Nachwuchsverantwortlicher des LCZ musst du wunschlos glücklich sein…
Die Ergebnisse sind in der Tat sehr gut und alles andere als selbstverständlich. In den Sprints zum Beispiel reichen die Zeiten, mit denen man vor zehn Jahren vielleicht noch Gold gewonnen hat, heute nicht einmal mehr für eine SM-Finalqualifikation. Das Leistungsniveau ist massiv gestiegen – national wie auch auf Klubebene. Besonders freut mich, dass sich die Erfolge von der U20 quer durchs Band bis zu den Jüngsten ziehen.
Wobei auffällt auf, dass bei den Nachwuchs-Grossanlass-Limiten die jungen Frauen den Ton deutlich angeben. Trend oder Zufall?
Das stimmt. Frauen scheinen Trainingsreize schneller zu adaptieren als das vermeintlich «starke Geschlecht». Ich bin aber überzeugt, je länger die Saison dauert, desto mehr Männer werden nachziehen. Im Nachwuchs und bei den Aktiven ist das Geschlechterverhältnis ziemlich ausgeglichen. Bei den Schüler:innen spüren wir als Stadtverein das grosse Nachwuchsangebot in den Teamsportarten Fussball, Eishockey und Handball, das eher Jungs anzieht. Mit der Folge, dass die Mädchen bei uns in den jüngeren Jahrgängen in der Überzahl sind.
Worauf führst du die weibliche – und männliche –Medaillenflut zurück?
In den letzten Jahren wurde offensichtlich gute Arbeit geleistet – sowohl von den Athlet:innen als auch von Trainer:innen. Gemeinsam haben wir es geschafft, innerhalb des Vereins eine positive Leistungsdynamik hinzubringen. Andererseits verbessert sich das Umfeld stetig. Die meisten Nachwuchsathlet:innen wissen schon früh, was sie wollen, eifern ihren Vorbildern nach und ziehen andere mit. Die Bereitschaft, in die Leichtathletik zu investieren, zeigt sich unter anderem auch an der steigenden Zahl jener, die eine Sportschule besuchen.
Gibt es auch eine Kehrseite der Medaille(n)?
Wir müssen selektieren und fokussieren, wenn wir unserem Nachwuchs ein professionelles Umfeld ermöglichen wollen. Und das wollen wir. Eigentlich würden wir gerne mehr Kinder fördern und alle aufnehmen, die im LCZ laufen, springen und werfen wollen. Aber wir stossen personell und infrastrukturell an unsere Grenzen. So führen wir ab der U18 beispielsweise keine Mehrkampfgruppe mehr. Doch mit dem LC Turicum und LAC TV Unterstrass sind wir hier in Zürich gut abgedeckt. Andere Disziplinen wie Hochsprung bieten wir nur über das Nationale Leistungszentrum (NLZ) an.
Wie viele Kinder und Jugendliche trainieren aktuell in der Schüler- respektive Nachwuchsabteilung des LCZ?
Bei den Schüler:innen (U10 bis U14) sind es 115, beim Nachwuchs (U16 bis U20) knapp 90. Davon entfallen 30 auf die mehrkampforientierte U16-Gruppe, 30 auf die Sprint-/Hürden-/Sprunggruppe (U18/U20), 17 auf die Mittelstreckengruppe (U16 bis U20) und 10 auf die Wurfgruppe (U16 bis U20). Spannend ist, dass wir inzwischen in allen Disziplinengruppen mindestens einen oder eine Swiss Starter Future (Nachwuchs-Nationalkader) stellen.
Welches Ziel verfolgt die Nachwuchsabteilung?
Grundsätzlich haben wir vor einigen Jahren als Ziel definiert, pro Jahrgang mindestens eine Athletin oder einen Athleten an einen internationalen Grossanlass zu bringen. Dieses Ziel übertreffen wir momentan deutlich. Zu stark möchten wir uns aber nicht daran orientieren, sonst würden wir zu kurzsichtig denken. Unsere Hauptaufgabe bleibt es, Nachwuchsathl:innen zu entwickeln, die den Übertritt in die aktiven Gruppen schaffen und dort Anschluss finden.
Wo ist die Dropout-Quote höher: beim Übergang von der Schüler- in die leistungsorientiertere Nachwuchsabteilung oder von dort zu den Aktiven?
Ganz klar bei den Schüler:innen. Diese Quote ist mehrheitlich hausgemacht. Würden wir hier nicht selektieren, hätten wir zu viele Athlet:innen in der U16 und könnten die Qualität der Betreuung nicht mehr gewährleisten. Andere hören von sich aus auf, weil sie sich die Doppelbelastung Sport/Gymnasium oder Sport/Lehre nicht mehr zumuten oder sich für einen anderen Lifestyle entscheiden.
In den letzten Jahren wurde die Schülerabteilung praktisch überrannt und es mussten halbjährliche «Sichtungstrainings» eingeführt werden. Schliesst man «Spätzünder» so nicht aus?
Nicht zwingend. Mit Patrick (Saile), Flavio (Zberg), Marco (Aeschlimann), Simon (Märki), Julia (Stokar), Beat (Ammann) und mir sind Profitrainer am Werk, die über ein gewisses Auge und Know-how verfügen. Wir schauen also nicht nur auf die Zahlen und erbrachten Leistungen, sonst könnten wir beim Scouting einfach nach der Rangliste des UBS Kids Cups gehen. Ausserdem handelt es sich um eine Momentaufnahme. Nicht direkt aufgenommene Kinder dürfen auch später nochmals anklopfen. Die Türen für sogenannte «Spätzünder» bleiben also offen.
Aber die Chancen sind schon intakt, dass jemand von den heutigen Nachwuchs-Medaillengewinner:innen morgen auch international bei den «Grossen» mitmischt?
Ja, gerade bei der «UBS Kids Cup Generation» lässt sich ein solcher Trend feststellen. Wir wissen aber auch, dass Karrieren nicht linear verlaufen. Es gibt durchaus Athlet:innen, die keine SM-Medaillen im Nachwuchs gewinnen und dann trotzdem den Knopf noch aufmachen. Prognosen sind in diesem Alter schwierig. Darum sollten wir uns davor hüten, nur jene zu fördern, die im Nachwuchs Medaillen gewinnen.
Ob berechtigt oder nicht: Von aussen wird ab und zu moniert, dass der LCZ bloss «fertige» Talente aufnehme oder diese sogar von anderen Vereinen abwerbe. Wie stehst du dazu?
Während meiner Zeit als Nachwuchsverantwortlicher habe ich noch nie von einem Trainer gehört, dass er oder sie Athlet:innen bei anderen Vereinen abwirbt. Das gab es vielleicht früher einmal. Heute ist es eher umgekehrt: Nachwuchsathlet:innen – auch mit Nationalkaderstatus – kommen auf uns zu und wir müssen viele abweisen, weil wir zu wenig Platz haben. Von «fertigen Talenten» wiederum, die zu uns kommen möchten, würde ich zumindest in der U10 bis U16 nicht sprechen. Die technische Ausbildung und Entwicklung steht hier ja grösstenteils noch bevor.
Was unternimmt der LCZ, um möglichst viele «Rohdiamanten» bei den Aktiven zum Funkeln zu bringen?
Im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen wir, junge Potenziale relativ breit auszubilden und nicht zu früh zu spezialisieren. Bis und mit U14 geniesst das mehrkampforientierte Training Priorität. Danach beginnt eine «sanfte» Spezialisierung nach Rücksprache mit den Athlet:innen. Ab U16 haben wir drei Gruppen, welche parallel laufen und zusammenarbeiten. So können die Athlet:innen ihr Talent in ihren Lieblingsdisziplinen schon ein wenig vertiefen. Gleichzeitig sind wir laufend daran, unseren Trainerstab zu professionalisieren, das Angebot zu erweitern oder zu vertiefen. Stichwort: Leichtathletik-Halle auf dem Letzigrund-Areal.
Gibt es einen besonders starken Jahrgang, von dem du dir mehr als einen zukünftigen «Swiss Starter» erhoffst?
Einzelne Athlet:innen mit EM-Potenzial gab und gibt es in jedem Jahrgang. Bei einigen Jahrgängen treten sie gehäuft auf. Natacha Kouni, Lena Wernli, Simon Graf, Giulia Senn und Nahom Yirga zum Beispiel haben alle Jahrgang 2001. Eine ähnliche Potenzialhäufung sehen wir bei den Jahrgängen 2005/2006 und 2009/2010. Folgt man den Podestplätzen des UBS Kids Cup Teams, darf man zudem gespannt sein auf den Heim-EM-Jahrgang 2014…
Zum Schluss noch zu dir: Wie bist du selber zum LCZ gekommen?
Ich bin in Frankreich aufgewachsen und habe dort mit der Leichtathletik begonnen. Mein Vater kannte Patrick Magyar (langjähriger Trainer/Funktionär im LCZ, ehemaliger Meetingdirektor von Weltklasse Zürich und CEO der Leichtathletik-EM 2014 in Zürich). Über ihn kam ich zu Christoph Schmid (ehemaliger Trainer von André Bucher) und dann mit dem ETH-Studium zum LCZ. Als Junior konnte ich leider nur noch kurz von unserer Talentschmiede profitieren (lacht)…
Bereits erfüllte Limiten für internationale Nachwuchs-Grossanlässe 2023 (Stand 31. Mai)
Die LCZ-Nachwuchsabteilung
Mit dem Ziel, Eigengewächse an Europameisterschaften möglichst zahlreich zum Blühen zu bringen, investiert der LC Zürich viel Zeit und Energie in die Pflege des eigenen Nachwuchses. Die Nachwuchsabteilung besteht aus der mehrkampforientierten Gruppe (U16) unter der Leitung von Simon Märki, der Mittelstreckengruppe unter Julia Stokar (U16 bis U20), der Wurfgruppe unter Werner Kunz (U16 bis U20) sowie der Sprint-/Hürden-/Sprunggruppe unter Daniel Baumgartner (U18/U20).
Der frühere SM-Medaillengewinner über 800 m, inzwischen Sportlehrer ETH mit einem Master in Bewegungswissenschaften und Sport, betreut als Nationaltrainer-Assistent Sprint/Hürden auch die Delegationen von Swiss Athletics. Im LCZ stehen dem Nachwuchsverantwortlichen ein Dutzend Trainerinnen und Trainer zur Seite, die sich um die «Rohdiamanten» im Alter von 14 bis teilweise 19 Jahren kümmern. Die Schülerabteilung wiederum untersteht Philip Fleischmann und zählt je nach Grösse acht bis zehn Trainer:innen. Diese bieten den 8- bis 13-Jährigen zwei bis drei Trainings pro Woche an.
(MAS)